Im Interview: Prof. Dr.-Ing. Markus Oeser – BASt-Präsident

„Bei digitalen Lernangeboten kennen Fahrlehrer*innen die Wissenslücken der Fahrschüler*innen sehr genau!“

Frage: Seit November 2021 sind Sie neuer Präsident der Bundesanstalt für Straßenwesen. Wie gefällt Ihnen Ihre neue Aufgabe und welche Prioritäten stehen auf Ihrer Agenda?

„Meine neuen Aufgaben als Präsident der Bundesanstalt für Straßenwesen sind spannend und herausfordernd zugleich. Wir verstärken die Aktivitäten der BASt in den Bereichen Digitalisierung, aktive Mobilitätsformen und Interaktion der Verkehre, vernetztes und automatisiertes Fahren, resiliente und agile Verkehrsinfrastrukturen und Nachhaltigkeit des Straßenwesens ohne die traditionellen Themengebiete zu vernachlässigen. Außerdem wollen wir einen messbaren Beitrag zur Qualifikation und Nachwuchsgewinnung für das Straßenwesen leisten. Die BASt wird auf diese Weise noch besser auf die Beantwortung der brennenden Zukunftsfragen vorbereitet. Das ist eine wirklich erfüllende Aufgabe und ich fühle, dass ich meine Schaffenskraft und mein Wissen für eine gute Sache einsetzen kann.“

Frage: Wie viele Mitarbeiter*innen beschäftigten sich in der Bundesanstalt zurzeit mit dem Thema der Fahrausbildung und dem Fahrerlaubniswesen?

„Die Kern-Forschungstätigkeiten übernehmen 3 Kollegen und Kolleginnen im Referat „Fahreignung, Fahrausbildung, Kraftfahrereignung“. Es gibt aber immer wieder Schnittpunkte zu anderen Referaten. So zum Beispiel zum Referat „Automatisiertes Fahren“ oder zur „Begutachtungsstelle Fahrerlaubniswesen“. Dies verdeutlicht wie weit die Thematik Fahrausbildung auch in andere Bereiche ausstrahlt.“

Frage: Bei der BASt liegt aktuell die OFSA II-Vorabveröffentlichung online vor („Ausbildungs- und Evaluationskonzept zur Optimierung der Fahrschulausbildung in Deutschland“). In den letzten beiden „Pandemie“-Jahren wurden unterschiedlichste Erfahrungen mit Online-Präsenz-Veranstaltungen im Bereich der Schulen, Universitäten und in den Fahrschulen gemacht. Sollte nicht eine zusätzliche, unabhängige Studie zeitnah durchgeführt werden, um die Auswirkungen dieser besonderen Situation auch in der theoretischen und praktischen Fahrausbildung aufzuarbeiten?

„Das OFSA II-Projekt hat wichtige wissenschaftlich basierte Vorschläge für guten Unterricht erarbeitet. In den Jahren der Pandemie wurde in der Fahrschulausbildung viel geleistet, um trotz sehr schwieriger Bedingungen die Ausbildung für die Fahrschülerinnen und Fahrschüler zu ermöglichen. Es musste oftmals improvisiert werden, und die Lösungen waren vielfältig. Inwiefern diese zum Teil improvisierten Lösungen dauerhaft in der Praxis Eingang finden können, ist im Sinne der Verkehrssicherheit sorgfältig zu prüfen.“

Frage: Die Fahrzeugtechnik schreitet mit der Digitalisierung unablässig voran, es ist eben mehr „Technik“ möglich: Fahrerassistenzsysteme, automatisiertes und autonomes Fahren, alternative Antriebssysteme und hier besonders die Elektromobilität, um nur einige Beispiele zu nennen. Parallel steigen die Erwartungen an eine gute Fahrausbildung! Wie definieren Sie als Wissenschaftler „digital“ und welche Möglichkeiten sehen Sie in der Digitalisierung, die Fahrlehrer*innen in ihren Aufgaben zu unterstützen?

„Digital bezeichnet ein elektronisches Verfahren, das Daten in zwei Zuständen erzeugt, speichert und verarbeitet. Das erste Binärsystem wurde schon von Gottfried Wilhelm Leibniz entwickelt, „digital“ ist also gar nicht so neu, wie wir oft denken.

Mit digitaler Technik kann der Fahrlehrer in seiner Rolle als Lernbegleiter seine Schüler beim Lernen deutlich individueller und damit besser unterstützen, z. B. mit sogenannten „flipped classroom-Modellen“, wo Präsenzlernen und selbstständiges Lernen mit digitalen Medien sich abwechseln. Die Fahrlehrerin oder der Fahrlehrer kennt bei den digitalen Lernangeboten den Wissensstand der Schüler und deren Wissenslücken sehr detailliert, und kann sie gezielter bei der Prüfungsvorbereitung unterstützen. Gefahrensituationen lassen sich digital deutlich besser und anschaulicher darstellen als mit Schautafeln und Büchern.“

Frage: Der Anteil der pädagogischen Qualifikation wurde in der Fahrlehrer-Prüfungsverordnung nahezu verdoppelt und mit psychologischen Inhalten ausgestattet. Die Qualität des theoretischen und praktischen Unterrichts soll dadurch erhöht werden. Welche Eigenschaften sollten die Fahrlehrer*innen der Zukunft haben?

„Die Fahrlehrerausbildung ist kontinuierlich an sich ändernde Anforderungen anzupassen. Moderner Fahrschulunterricht sollte auch die aus anderen Bildungsbereichen gewonnenen Erkenntnisse zum Lehren und Lernen berücksichtigen. Die Fahrschüler sind hinsichtlich ihrer Vorkenntnisse und Lernmöglichkeiten aber noch unterschiedlicher als es in den meisten anderen Bildungseinrichtungen der Fall ist. Der Wandel der Fahrlehrertätigkeit vom zunächst eher technisch orientierten Instruktor zum pädagogischen Beruf und individuellen Lernbegleiter ist im Gange und dieser Wandel wird in Anlehnung an das Konzept des lebenslangen Lernens beständig fortschreiten.“

Frage: Haben Sie einen persönlichen und spontanen Wunsch, der zu einer kurzfristigen Verbesserung der Verkehrssicherheit beitragen würde?

„Ich würde mir wünschen, dass die Verkehrsteilnehmer mehr Rücksicht aufeinander nehmen. Davon könnte die Verkehrssicherheit auch sehr kurzfristig profitieren.“

Markus Oeser
Foto: BASt – Daniel Carreño, hat&cap

„Verzahnt zahlreiche Fachgebiete miteinander, der neue BASt-Präsident Prof. Dr.-Ing. Markus Oeser!“ – Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Markus Oeser, seit November 2021 neuer Präsident der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), geb. 1974.

Seit 2011 Leiter des Lehrstuhls für Straßenwesen und Direktor des Instituts für Straßenwesen sowie seit 2015 Dekan an der Fakultät für Bauingenieurwesen der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH). Zuvor promovierte er 2004 an der Technischen Universität Dresden, die Habilitation erfolgte im Jahr 2010. Prof. Oeser war als Universitätsdozent an der University of New South Wales in Sydney, Australien tätig, bevor er seine Arbeit an der RWTH Aachen aufnahm. Mit seiner wissenschaftlichen Expertise engagiert er sich als promovierter Bauingenieur in verschiedenen Forschungsgremien, Fachverbänden und -vereinigungen wie beispielsweise in der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV).