Exklusiv im Interview: Dipl.-Päd. Matthias Wenninger

Dipl.-Päd. Matthias Wenninger

Dipl.-Päd. Matthias Wenninger, Jahrgang 1967, verheiratet, vier Kinder. Seit 1992 Fahrlehrer aller Klassen, 1997 bis 2002 Studium der Erziehungswissenschaften an der Technischen Universität in Berlin, seit 2002 Freier Dozent für die Fahrlehreraus- und -weiterbildung. Matthias Wenninger ist seit 2006 Mitglied im Fahrlehrerprüfungsausschuss und seit 2017 Sachverständiger nach § 15 Abs. 2 DV-FahrlG. Seine bisher letzte Station im Lebenslauf, seit Juni 2021 ist er pädagogischer Leiter der Fahrlehrer-Fachschule in Fürth. (Foto: Matthias Wenninger)

» FRAGE: Sie sind Diplom-Pädagoge, Fahrlehrer aller Klassen und als freiberuflicher Dozent in der Fahrlehrerausbildung tätig. Welche Stimmungen konnten Sie im zurückliegenden Jahr in der Branche wahrnehmen und welche Erfahrungen hatten Sie persönlich, bezogen auf den vielerorts angebotenen Online-Theorieunterricht?

Sehr unterschiedlich, einige Kollegen entdeckten den Online­Unterricht als echte Alternative und waren begeistert, andere waren zwar erleichtert, wieder unterrichten zu dürfen, empfanden den Online­Unterricht jedoch grundsätzlich als notwendiges Übel.

» FRAGE: Inwieweit ist die Anwesenheit auch für den erfolgreichen Theorieunterricht ein wichtiger Baustein? Warum ist es so wichtig, die Fahrschüler insgesamt als Persönlichkeiten wahrzunehmen?

Ich habe viele Online­Unterrichte gesehen und konnte dabei den in der Frage enthaltenen Zwiespalt in der Fahrlehrerschaft immer wieder beobachten. Notgedrungener Online­Unterricht war häufig monotoner und leidenschaftsloser als der Unterricht von Fahrlehrern, die dieses neue Unterrichten vor der Kamera als Chance und Herausforderung sehen.

» FRAGE: Inwiefern beeinflusst Ihre eigene und die Anwesenheit der Teilnehmenden die Einflussmöglichkeiten der Lehrenden auf den Lernerfolg und z. B. die persönliche Entwicklung von Fahranfängern?

Eine Frage, die viele Fahrlehrer gleich beantworten würden: Eine Fahrausbildung ist nur über den persönlichen Kontakt erfolgreich. – Fahrlehrer brauchen diesen Kontakt, um das Vertrauen ihrer Fahrschüler aufzubauen, diese Beziehung ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Fahrausbildung.

» FRAGE: „Ohne Bindung keine Bildung!“ – Dieser Ausspruch war während des vergangenen Jahres im Bildungsbereich sehr oft zu hören! Warum trifft das für den theoretischen Fahrschulunterricht ebenfalls zu?

In der Schule lernen Schüler häufig für den Lehrer. Das bedeutet, der Lehrer – wie auch der Fahrlehrer – stellt jeweils eine Persönlichkeit dar, der der Schüler gefallen möchte oder die er zumindest weder enttäuschen noch verärgern will. Das funktioniert nur gut in der Präsenzform.

» FRAGE: Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?

Jeder Fahrlehrer kennt die Situation aus seinem Alltag. Das Miteinander­Arbeiten im theoretischen Unterricht ist, sobald man das erste Mal eine Fahrstunde hatte, ganz anders, der Fahrschüler ist offener und motivierter oder besser gesagt, er wirkt wie „aufgetaut“. Online­Unterricht hat jedoch – neben dem Infektionsschutz – auf den ersten Blick für den Kunden viele Vorteile. Meiner Meinung sind es weniger die Inhalte, die eine Präsenzform des Unterrichts erfordern, sondern viel mehr die zwischenmenschliche Interaktion. Denn die ist faktisch nur dann möglich, wenn man real zusammenkommt. Nur über diesen Kontakt kann sich eine Fahrerpersönlichkeit entwickeln, die für die Verkehrssicherheit wünschenswert ist.

» FRAGE: Welchen Tipp zur lebendigen Unterrichtsgestaltung würden Sie gern an Fahrlehrer weitergeben, damit der Lehrstoff „im Kopf“ bleibt?

Der Mit­Mach­Unterricht ist das Konzept der modernen Fahrschule. Schade ist es, dass immer noch Fahrlehrer, meist wegen der Stofffülle, versuchen, alle Inhalte restlos in ihrem Unterricht zu transportieren. Der Vortrag ist daher die vorherrschende Unterrichtsform in den Fahrschulen. Kreativität bei der Lösung von Problemen der Verkehrsteilnahme – exemplarisches Lernen, in direkter Interaktion nachhaltig vermittelt – wird aus meiner Sicht noch zu selten genutzt.

» FRAGE: Die Altersgruppe der 18- bis 25-jährigen Fahrenden verunglückt leider immer noch überproportional häufig im Straßenverkehr! Warum ist Präsenz-Theorieunterricht gerade für diesen Themenkomplex so wichtig für den Fahrkompetenzerwerb?

Diese Zahl unfassbaren Leids auf unseren Straßen ist für mich Triebfeder meines Handelns. Der Fahrlehrer ist ein Überlebenscoach. All unser Tun dreht sich um das Fitmachen der nachfolgenden Generation für den motorisierten Individual verkehr (MIV). Solange dieser noch ein soziales System ist, in dem der Mensch die Hauptrisikogruppe darstellt, darf niemand, weder Politik noch Wirtschaft, ein Experimentierfeld darin sehen. So sind es vor allem findige Geschäftsleute, die sich sofort auf die Ausnahmegenehmigungen des Präsenzunterrichts gestürzt haben, um das schnelle Geld zu verdienen. Dem Fahrlehrer, der individuell die Fahrerpersönlichkeitsentwicklung seines Kunden begleitet, liegt dessen Unversehrtheit viel mehr am Herzen als dem viele Kilometer weit entfernten Online­Kollegen. Der Fahrlehrer vor Ort begegnet seinen Kunden tatsächlich – und unter Umständen nicht nur in der Fahrschule …

» FRAGE: Die pädagogischen Anforderungen an die Fahrlehrer haben sich mit der Reform des Fahrlehrerrechts nahezu verdoppelt! Welchen Stellenwert hat die Bindung zu den Fahrschülern in Bezug auf die Qualität des theoretischen Unterrichts?

Wie gesagt, das Modell, das der Fahrlehrer für die Fahrschüler darstellt, kann eigentlich nur in einem Präsenzunterricht wirken. Wir Fahrlehrer unterrichten nicht: „beobachte und erlebe mich als Fahrlehrer und dann hast du ein Beispiel für die richtige Einstellung in Straßenverkehr.“ Dieser Zusammenhang zwischen Lehrerverhalten und Schülerwahrnehmung ist im sogenannten „heimlichen Lehrplan“ verborgen…

» FRAGE: Herr Wenninger, Sie haben in ihrer beruflichen Entwicklung immer wieder dem Fahrlehrerdasein den Rücken gekehrt. Sie sind jedoch auch immer wieder zu Fahrlehrerberuf zurückgekehrt. Warum eigentlich?

[lacht] Stimmt, eigentlich hätte aus mir noch was werden können. Nein, Spaß beiseite, ich könnte mir keine andere Tätigkeit vorstellen, wo ich so viel Spaß und Befriedigung finde. Ich liebe diesen Job, wobei es für mich keinen Unterschied macht, ob ich einen Mofa­Fahrer ausbilde oder eine Prüfungsfahrt im Pkw begleite. Es wird nie langweilig, durch jeden Menschen, mit dem ich arbeite, lerne ich dazu. Viele Ethnien, unterschiedlichste Charaktere und immer wieder neue Rahmenbedingungen schaffen für mich ein Umfeld, das mich jedes Mal neu herausfordert. Zuletzt der Umstieg in die Elektromobilität, für die ich meine bisherige Routine in der Fahrausbildung komplett neu überdacht und verändert habe. Fahrlehrer – ein wundervoller Beruf!

(Das Interview führte Hans-Joachim Reimann, Chefredaktion DEGENER Verlag GmbH)